Energie aus Essensresten

Das halb aufgegessene Schnitzel, die übrig gebliebenen Rüebli und die restlichen Nudeln, sie alle enthalten Energie. Energie, die sich Christoph Egli, Geschäftsführer des Abwasserverbandes Altenrhein (AVA), zunutze machen will. Ab Mitte Juni will der AVA aus Speiseresten Biogas zur Wärme- und Stromerzeugung gewinnen. Christoph Egli rechnet anfänglich mit 3000 bis 3500 Tonnen organischer Abfälle, die der AVA im Jahr aufbereitet. «Je nach ihrer Zusammensetzung können daraus über 1000 Megawattstunden elektrischer Energie und etwa doppelt so viel Wärmeenergie produziert werden», sagt Egli. Zum Vergleich: Mit dieser Energiemenge können an die 600 Einfamilienhäuser geheizt werden.

Mischen, trennen, gären
Derzeit baut der AVA mitten auf seinem Gelände die neue Annahmestelle, gleichzeitig wird die bestehende Infrastruktur für die neuen Prozesse angepasst. Die Speisereste werden in einen 40 Kubikmeter fassenden Bunker gekippt, in dem sie vermischt und zum Teil zerkleinert werden. Danach wird in der Hammermühle nicht organisches Material wie beispielsweise Folien oder Karton von Lebensmittelverpackungen ausgesondert. Über eine Leitung wird die Masse dann in den Vorlagebehälter transportiert, von wo aus sie dosiert in die Vorfaulräume gelangt. Hier beginnt sie zu gären, das gewünschte Biogas entsteht.

Abfälle aus der Hotelküche
Anliefern können nicht nur Restaurants und Hotels ihre Küchen- und Speiseabfälle, auch Spitäler, Altersheime, Schulen und Betriebskantinen können ihre Reste hier gegen eine Gebühr entsorgen. Verwerten will der AVA auch Abfälle aus dem Detailhandel und der Nahrungsmittelindustrie wie etwa bei Fehlproduktionen oder überlagerter Ware. Und Landwirte und Gewerbler, die bis anhin Speiseabfälle eingesammelt haben, können sie ebenfalls dem AVA bringen. «Wir sind kein Logistiker, wir gehen nicht auf Sammeltour, wir nehmen die Abfälle entgegen und verwerten sie», stellt Egli klar. Ob und wie künftig Abfälle aus Städten und Gemeinden gesammelt würden, müsse sich zeigen. Klar ist für ihn aber, dass sich der AVA auf die Verwertung von Speiseabfällen aus der Region konzentriert. Ebenfalls klar ist für ihn, dass der AVA nur Abfälle aus der Gastronomie und der Lebensmittelbranche aufbereitet, Für Schlachtabfälle gebe es spezialisierte Anlagen.

Neue Energiequelle nutzen
Die aus dem Biogas gewonnene Energie nutzt der AVA für seinen Betrieb. «Für die Abwasserreinigung und die Schlammbehandlung brauchen wir sehr viel Energie. Da macht es Sinn, wenn wir uns für einen effizienten Verbrauch einsetzen und unseren Eigendeckungsgrad erhöhen», sagt Egli. Mit der Schlammtrocknung sei es möglich, die gesamte Wärme zu verwerten und dadurch zusätzlich Strom einzusparen. Ebenfalls mit ein Grund für den Aufbau der Annahmestelle ist das Gesetz. Denn ab dem 1. Juli dürfen keine Speisereste mehr an Tiere verfüttert werden. «Wenn wir eine Infrastruktur haben, die der Bürger bezahlt hat, ist es unser Auftrag, diese optimal zu nutzen», sagt Egli. Zumal der AVA die nötige Grösse für eine regionale Lösung habe. Ein weiteres Anliegen ist ihm die Sicherheit. Denn im AVA werden die Speisereste getrocknet und schliesslich der Verbrennung zugeführt.

1,8 Millionen Franken
Für die Speisereste-Annahmestelle hat die Delegiertenversammlung 1,8 Mio. Franken bewilligt. Noch ist die Anlage nicht in Betrieb, da setzt sich Christoph Egli bereits ein nächstes Ziel. Mittelfristig möchte er Wertstoffe wie Phosphor und Stickstoff zurückgewinnen. Denn anders als in landwirtschaftlichen Biogasanlagen, in denen die Stoffe via Gärrückstände, die als Dünger verwendet werden, wieder in den Boden gelangen, wird das Granulat als Endprodukt des AVA im Zementwerk verbrannt. «Es wird möglich sein, die Stoffkreisläufe wieder zu schliessen. Möglich wäre dies beispielsweise über die Asche, die – eventuell auch angereichert – als Dünger eingesetzt werden kann.»

Samt ‚optischen Verschnaufpausen‘

«Wir laden Sie auf die Reise durch die Welt des AVA ein. Mit optischen Verschnaufpausen stellen wir diesmal den Menschen ins Zentrum», schreiben AVA-Präsident Robert Raths und AVA-Geschäftsführer Christoph Egli im Begleitbrief zum Geschäftsbericht 2010. Die launige Sprache, das schöne Layout, Typographie, Bebilderung und auch Inhalt der gepflegten Publikation knüpfen an die Broschüren der Vorjahre an.

Jedes Jahr überraschend
Da wurden einmal die Deckel von Abwasserschächten in den optischen Mittelpunkt gerückt, einmal waren es schöne Toiletten-Bilder. Für den aktuellen Jahresbericht hat der AVA die Fotografin Sarina Krebs (www.phototraffic.ch) engagiert. Sie sah sich während eines Tages mit ihren Kameras im Abwasser-Reinigungswerk um und fotografierte vor allem die rund zwanzig dort arbeitenden Menschen an ihren Arbeitsplätzen. Ein Teil der daraus entstandenen Bilder sind im Jahresbericht zu sehen. AVA-Geschäftsführer Christoph Egli schreibt dazu im Vorwort: «Menschen engagieren sich, bringen Ideen, stehen für etwas ein, leben Werten nach, kommen und gehen. Damit eine Einheit funktioniert, braucht es die richtige Assemblage, von jeder Farbe etwas. Wir sind froh darüber, dass wir in unserer Equipe einen bunten Mix von Charakteren vereint haben. Dies macht den AVA zu einer einsatzkräftigen und starken Truppe.»

13 Gemeinden
Der AVA reinigt das Abwasser von 13 Gemeinden mit rund 53 000 Einwohnern und 26 000 «Einwohnergleichwerten» aus Industrie und Gewerbe. An die Kläranlage angeschlossen sind die Gemeinden Thal, Rorschach, Rorschacherberg, Goldach, Untereggen, Eggersriet, Rheineck, St. Margrethen, Lutzenberg, Wolfhalden, Walzenhausen, Heiden und Grub AR.

Damit das Abwasser zur Reinigung in die ARA nach Altenrhein fliessen kann, unterhält der AVA ein verbandseigenes Kanalnetz von total 70 Kilometer Länge. Für die Gemeinden wird deren Kanalnetz von total 220 Kilometer Länge durch den AVA betreut.

Städtische Verhältnisse
758 Hektaren Fläche werden im sogenannten Mischsystem entwässert (Regenwasser und Schmutzwasser im gleichen Kanal), 954 Hektaren im Trennsystem (Regenwasser und verschmutztes Abwasser in getrennten Kanälen). Der AVA entwässert, trocknet und entsorgt darüber hinaus Klärschlamm von rund zwanzig mittleren und kleineren Kläranlagen in vier Kantonen. Die verarbeitete Klärschlamm-Menge entspricht einer Anzahl von etwa 350 000 Einwohnern. Die ARA Altenrhein ist somit vergleichbar mit den Klärwerken grösserer Schweizer Städte.

Zwölf Prozent mehr
Das Jahr 2010 war ein Regenjahr, steht im Geschäftsbericht. Durch die Anlage und später über den Alten Rhein in den Bodensee flossen 9,1 Mio. Kubikmeter gereinigtes Abwasser; etwa eine Million Kubikmeter oder zwölf Prozent mehr als im Vorjahr 2009. Das Abwasser kommt zu etwa zwei Dritteln aus den Haushalten im Einzugsgebiet, zu etwa einem Drittel aus Industrie und Gewerbe.

Ökologie auf Betriebsgelände

Gartenplatten, Röhren oder Randsteine, die ersetzt wurden, Sandsteinquader oder Ziegelsteine von Abbrüchen, Restposten neuer Produkte aus Stein: Am Eingang ARA Altenrhein stapelt sich, was sonst entsorgt werden müsste in raren Deponieraum.

Ökologisch und lehrreich
Zwanzig Leute – Lehrlinge von Gartenbaubetrieben und einige Freiwillige – bauen daraus 50 Quadratmeter Trockenmauern. Solche entstehen einzig aus Stein und mit Geschick. Resultate dieses uralten Handwerks sind ein Jahrhundert überdauernde Befestigungen, die zudem Kleintieren und Pflanzen Lebensraum bieten.

Die Bauleute arbeiten – wie zehn andere im November – in einem zweitägigen Kurs unter Leitung von Fachleuten des auf Naturgärten spezialisierten Unternehmens Winkler & Richard. Projektleiter Raphael Zimmermann ist sehr zufrieden mit dem Einsatz. Für angehende Landschaftsgärtner sei das ein lehrreiches Werk, denn sie könnten selten Recyclingmaterial verarbeiten.

Trockenmauern statt Beton
Das Tor zum Areal sowie die Betonmauern und die Treppe beim Eingang waren nach 35 Jahren altersschwach. Ersatz plante die ARA-Leitung nach Auskunft von Geschäftsführer Christoph Egli auch mit Blick auf Sicherheit und Ökologie. Denn die ARA ist seit zehn Jahren zertifiziert mit dem Qualitätslabel der Stiftung «Natur & Wirtschaft», die sich für naturnah gestaltete Firmenareale einsetzt. So fiel für den Eingangsbereich die Wahl auf Trockenmauern – nicht im Gelände, sondern vor der ARA-Zentrale. «Neue Sandsteine hätten das Budget gesprengt», sagt der Geschäftsführer. «Mit Recyclingmaterial können wir günstig bauen und noch mehr für die Umwelt tun.» Die ARA für das Gebiet von Untereggen/Eggersriet im Westen bis St. Margrethen/Walzenhausen im Osten entstand auf Natur- und Landwirtschaftsgebiet am Alten Rhein – günstig gelegen in der Mitte, an einem tiefen Punkt und am Fluss, dem das gereinigte Wasser übergeben werden kann. Ob sie heute noch in einem solchen Gebiet gebaut werden dürfte, ist fraglich. Die Belastung des Alten Rheins konnte jedoch so reduziert werden, dass sie nun auch nach Beurteilung kritischer Fachleute ökologisch unbedenklich ist.

Natur bei technischen Anlagen
Und die heutigen Betreiber lassen die Freiflächen auf dem riesigen Betriebsareal naturnah gestalten. Rund die Hälfte besteht heute aus Wald und Hecken – wo fremde durch einheimische Bäume und Büsche ersetzt wurden –, Kiesflächen, Feuchtbiotop sowie Haufen aus Steinen und Totholz. Hier kann sich die Natur selber entwickeln, wird durch pflegende Eingriffe nur sichergestellt, dass die Vielfalt der Lebensräume erhalten bleibt.

Beidseits der ARA herrscht reges Kommen und Gehen auf Wegen. Die vielen Spaziergänger und Velofahrer können sich an der ökologisch aufgewerteten Umgebung erfreuen. In das Areal aber dürfen sie nicht mehr.

Für Sicherheit geschlossen
Das Tor, das vorher meist offenstand, öffnet sich jetzt nur noch nach Anmeldung – oder für eigene und weitere registrierte Fahrzeuge über Elektronik. Das diene der Sicherheit, erläutert Geschäftsführer Egli, zumal mit neuer Abluftreinigung und weiteren Becken zusätzliche Unfallrisiken entstanden seien. Damit auf Einlass wartende Lastwagen den Verkehr auf den Wegen nicht behindern, wurden das Tor und die angrenzende Mauer zu den Gebäuden hin verschoben. Die dadurch vor der Mauer entstandene Fläche wird teilweise für Parkplätze und daneben für weitere ökologische Aufwertung mit einheimischen Bäumen und Büschen genutzt.

Speicher will dem AVA beitreten

Varianten geprüft
In Zusammenarbeit mit Rehetobel hat sich eine Fachkommission in jahrelanger Arbeit mit der Frage befasst, wie in Zukunft die Abwässer der beiden Gemeinden zu behandeln sind. Da in den Gemeinden die Sanierung der kommunalen Abwasserreinigungsanlagen in Aussicht stehe, stellte sich die Frage, ob ein gemeinsames Vorgehen Sinn macht, so die Gemeindekanzlei. Nach Prüfung vieler Varianten kam die Fachkommission zum Schluss, dass ein Anschluss an den AVA einer Sanierung der gemeindeeigenen Anlagen vorzuziehen ist. «Dabei spielen sowohl gewässerschutztechnische als auch finanzielle Aspekte eine wesentliche Rolle», heisst es in der Mitteilung. Es solle gemeinsam eine nachhaltige Lösung innerhalb des Verbandes angestrebt werden, welche dafür Gewähr biete, dass mit der Auslagerung dieser Aufgabe in Zukunft keine Investitionen mehr zu tätigen seien.

ÖV am 29. Mai
In den folgenden Monaten wird sich ein Projektteam den diversen technisch zu lösenden Fragen annehmen, währenddessen in den beiden Gemeinden die betroffenen Anwohner (Leitungsbau) sowie die Bevölkerung über das geplante Vorgehen ausführlich informiert werden. Ziel sei es, am 23. September in beiden Gemeinden parallel eine entsprechende Volksabstimmung über den zukünftigen Beitritt zum AVA durchzuführen. Die Bevölkerung von Speicher wird an der Volksversammlung vom 29. Mai über das Projekt informiert.

‚System Teetasse‘ für das Abwasser

Das Problem: Das alte Regenüberlaufbecken bei der Badi Heiden ist mit seinen 30 m3 zu klein; nötig wären 100 m3. Die Lösung: der Bau eines neuen, grösseren Beckens. Was banal tönt, stellte sich bei der Ausführung des Projekts als schwieriger heraus, denn am Standort bei der Badi, zwischen Kohlplatz und Rosentalstrasse, hat es zu wenig Platz für ein grösseres Regenüberlaufbecken in konventioneller Bauweise.Das erklärt Ernst Hohl, Leiter Planung Kanalnetz beim Abwasserverband Altenrhein (AVA), bei einer Begehung.

Neuheit in der Schweiz
Wie Hohl weiter ausführt, entschied sich der AVA in der Folge für den Bau eines sogenannten Wirbelabscheiders – ein Novum. «Die neue Anlage in Heiden ist die erste überhaupt in der Schweiz», so Ernst Hohl. Diese moderne Art eines Regenüberlaufbeckens sei platzsparender als die herkömmliche Bauweise, funktioniere aber nur, wenn die Zuleitung über genügend Gefälle verfüge, was in Heiden der Fall sei. Ernst Hohl weiter: «Der Abwasserverband Altenrhein hat in seinem Einzugsgebiet 20 Regenüberlaufbecken. Dasjenige in Heiden ist das einzige, das als Wirbelabscheider gebaut werden kann.» Bei der Begehung ist weiter zu erfahren, der Wirbelabscheider habe «keine Funktion für den Hochwasserschutz», er diene lediglich als Überlaufbecken bei starken Regenfällen.

Das Bauwerk wurde vom Abwasserverband Altenrhein in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Hersche Ingenieure AG, Oberegg, und der Firma Umwelt- und Fluid-Technik Dr. H. Brombach GmbH (UFT) aus dem deutschen Bad Mergentheim geplant und von der UFT erstellt; Vertreter der genannten Firmen sowie der Gemeinde Heiden waren an der Begehung anwesend.

Ein Wirbel entsteht
Da bei der Begehung die Anlage noch offen und damit sichtbar war, liess sich das Prinzip eines Wirbelabscheiders gut erkennen. Das einströmende Abwasser – im Dorfkern Heidens fliessen Abwasser und Regenwasser im selben Kanal zur ARA – wird so in das kreisrunde Bauwerk eingeleitet, dass eine Wirbelströmung entsteht. Dabei werden die Schmutzstoffe, die sich im Becken absetzen, automatisch zur Mitte der Anlage gefördert, wo sie kontinuierlich mit einem kleinen Abfluss zur ARA Altenrhein abgeleitet werden. Dieser Abfluss wird durch ein Ventil gesteuert und auf 45 Liter pro Sekunde limitiert. «Dieses System entlastet auch die ARA, da grosse Wassermengen besser bewältigt werden können», erklärte Ernst Hohl.

Bei starken Regenfällen läuft der Wirbelabscheider über; das überschüssige Wasser fliesst dabei via Werdbach in den Gstaldenbach. Die Experten betonten bei der Begehung jedoch, das überlaufende Wasser sei durch das Absetzen des Schmutzes vorgereinigt und belaste die Gewässer weniger. Die Experten haben errechnet, dass «das neue Regenüberlaufbecken rund 30 bis 50 Mal pro Jahr anspringen wird», und zwar bereits bei mässigem Regen. Mittels Radar werde der Pegelstand in der Anlage überwacht und der ARA Altenrhein übermittelt. Bei trockener Witterung respektive geringem Regen setzt sich der Wirbelabscheider nicht in Betrieb. Das zugeleitete Schmutz- und Regenwasser fliesst dann direkt weiter in die ARA.

Bau in Rekordzeit
Projektstart zum neuen Regenüberlaufbecken Heiden war im November letzten Jahres. Die GV des Abwasserverbandes genehmigte im Februar den Baukredit von 350 000 Franken. Baubeginn des neuen Wirbelabscheiders beim Schwimmbad war im Mai; die eigentlichen Bauarbeiten werden dieser Tage abgeschlossen sein. «Das bedeutet, dass wir diese Anlage in Rekordzeit bauen konnten», freut sich Ernst Hohl. Bis Ende September müssten noch die Instandstellungsarbeiten ausgeführt sowie die Zuleitung über den Kohlplatz erstellt werden. Nächstes Jahr schliesslich wird die Gemeinde Heiden den neuen Zulaufkanal erstellen.

Abstieg in die Unterwelt

Finsternis. Die Tiefe verschluckt jegliches Licht. Ich spähe durch die runde Schachtöffnung, kann den Boden aber nicht sehen. Vorsichtig setze ich den Fuss auf die erste Sprosse der Leiter. Im Magen breitet sich ein mulmiges Gefühl aus – dieser Schacht führt 18 Meter senkrecht unter die Erdoberfläche.

Mit Helm und Lebensretter
Schritt für Schritt bewege ich mich abwärts. Meine Stirnlampe beleuchtet die Wand des Schachtes um mich herum. Ich traue mich nicht, nochmals nach unten zu schauen.
Endlich bin ich am Ziel: Am Boden des Wirbelfallschachtes Wiggen. Ein Mitarbeiter des Abwasserverbandes Altenrhein (AVA) wartet bereits auf mich. Er löst meinen Sicherheitsgurt aus der Verankerung. 18 Meter über unseren Köpfen beginnt Ernst Hohl, Leiter Planung und Projektierung, ebenfalls den Abstieg. Bei der Exkursion in die Unterwelt will er heute das Wehr Wiggen im Fuchslochstollen zeigen.

Dazu hat Ernst Hohl alle nötigen Sicherheitsmassnahmen getroffen: Das betreffende Strassenstück ist abgesperrt und die Feuerwehr ist über das Vorhaben informiert. Zwei Mitarbeiter begleiten uns in die Tiefe, zwei halten oben vor der Schachtöffnung Wache. Als Schutzkleidung tragen wir weisse Anzüge, Handschuhe, Gummistiefel und einen gelben Helm.

Mitarbeiter Edi Hinnen erklärt den «Lebensretter», ein Atemgerät, das im Notfall für eine halbe Stunde lang Sauerstoff spenden kann. Sollte ein Messgerät Kohlenmonoxide, Schwefel-Wasserstoff oder andere explosive Stoffe anzeigen, müssten wir den Schacht unverzüglich verlassen. «Es ist schon vorgekommen, dass der Alarm losgegangen ist», berichtet Ernst Hohl. «Aber der Lebensretter kam zum Glück noch nie zum Einsatz.»

Abwasser stinkt noch nicht
Am Grund des Wirbelfallschachtes ist der Boden rutschig, ich halte mich an der Seitenwand fest. Durch einen Seitenstollen führt der Weg zum Hauptkanal des Fuchslochstollens. Wir stehen auf einer kleinen Brücke und schauen auf ein braunes Gemisch aus Abwasser und Regenwasser hinab. Was von Eggersriet über Untereggen, Goldach und Rorschach bis Rorschacherberg das WC hinuntergespült wurde, schwimmt jetzt zu unseren Füssen. Der Geruch ist wider Erwarten nicht schlimm. «Abwasser beginnt erst in der Kläranlage zu stinken», sagt Ernst Hohl.

Der Abwasserverband Altenrhein reinigt das Wasser von 13 Gemeinden in der Region Rorschach. Die Kläranlage hat drei grosse Regenbecken, welche das Wasser zurückhalten können. Doch wenn diese voll seien, laufe das noch ungereinigte Mischwasser über und fliesse direkt in den Bodensee, erklärt Ernst Hohl. Um dies zu vermeiden, habe der AVA zusätzliche Regenbecken oder Wehre gebaut.

Im 4,7 Kilometer langen Fuchslochstollen vom Bellevue in Rorschach bis zum Fuchsloch in Altenrhein gibt es zwei Wehre. Das Wehr Wiggen beim Wirbelfallschacht ist seit gut zwei Jahren in Betrieb. Es wirkt wie ein Staudamm: Bis die Kläranlage wieder Platz hat, wird das Wasser rückgestaut. Das Wehr Wiggen hat laut Ernst Hohl ein Fassungsvermögen von bis zu 3400 Kubikmetern. Bei starkem Niederschlag könne sich das Becken innert zwanzig Minuten bis gut zur Hälfte füllen.

Plötzlich höre ich von weitem ein Rauschen und ein Getöse. «Keine Angst», sagt Ernst Hohl, als ich ihn fragend anschaue. «Das ist nur das Pumpwerk vom Strandbad Rorschach, das durch einen Seitenstollen Wasser in das Kanalnetz laufen lässt.»

Den Bodensee schützen
Durch die neue Bewirtschaftung mit den Wehren und Regenbecken könne der AVA das Wasser koordiniert sammeln, sagt Ernst Hohl. Insgesamt könnten rund 42 000 Kubikmeter ungereinigtes Mischwasser vom Bodensee ferngehalten werden. «Der Bodensee ist jetzt viel sauberer.»

Wieder am Tageslicht –beim Aufstieg war die Höhenangst wie verflogen – waschen wir uns die Hände mit Seife bei einem Wassertank am Kleinlastwagen des AVA. Die Schutzanzüge sind erstaunlich weiss geblieben. Der Abstieg in die finstere Welt unseres Kanalnetzes war eine saubere Sache.

Rettungseinsatz unter der Erde

Es ist kurz vor 20 Uhr. Einsatzleiter Jürgen Weber trifft am Übungsort beim Wirbelfallschacht Wiggen ein und lässt sich vom ARA-Mitarbeiter, der Alarm geschlagen hat, die Situation schildern. Zwei Leute sind im Stollen, einer liegt verletzt nahe beim Einstieg, der andere befindet sich irgendwo im Kanal, der in Richtung Hauptbahnhof führt.

Bergung mit dem Hubretter
Weber entsendet einen Trupp zum dortigen Schacht. Gleichzeitig beginnen die Feuerwehrleute in den 20 Meter tiefen Wirbelfallschacht einzusteigen, ausgerüstet mit Sauerstoffflaschen und einem Vier-Stoff-Messgerät, das vor zu hohen Konzentrationen giftiger Gase wie Kohlenmonoxid oder Schwefelwasserstoff warnt. Bald schon erhält Weber per Funk die Meldung, der Vermisste beim Hauptbahnhof sei gefunden und wohlauf. Schwieriger gestaltet sich die Bergung beim Schacht Wiggen.

Der Einstieg in den Nebenschacht kostet die Leute viel Zeit, und der Funkkontakt wird immer wieder gestört – Schreien erweist sich im Stollen als effektiver. Schliesslich kann der Verletzte jedoch zum grossen Hauptschacht gebracht werden, und die Bergung mit dem Hubretter beginnt. Um 20.45 Uhr ist er wohlbehalten wieder an der Oberfläche, und auch die Feuerwehrleute haben den Ausstieg geschafft, die Übung wird beendet.

Probleme beim Einstieg
Für die Feuerwehrleute war es nach Einsätzen im Rietli und bei der Sonnenhalde bereits die dritte Übung unter der Erde. «Diese ist aber bei weitem die anspruchsvollste und gefährlichste, weil der Schacht so tief ist. Der heutige Einsatz gibt uns die Möglichkeit, das Bauwerk überhaupt einmal kennenzulernen», sagte Edgar Kohlbrenner, Kommandant der Rorschacherberger Feuerwehr. Die ungewohnte Situation verlangte seinen Leuten einiges ab. Dementsprechend hoch war der Lerneffekt, etwa in bezug auf die Ausrüstung.

«Das Risiko, im engen Einstieg mit den Sauerstoffflaschen stecken zu bleiben, ist zu gross, da müssen wir uns etwas überlegen», zog der Rorschacher Kommandant Kurt Reich bei der Besprechung Bilanz.

Neue Sicherheitsvorkehrungen
Christoph Egli, Geschäftsführer des Abwasserverbandes, beobachtete die Übung mit grossem Interesse. «Es ist völlig anders, sich in einem Gebäude voller Rauch zu orientieren als in der engen Kanalisation. Darum ist es wahnsinnig wichtig, eine solche Situation zu üben.

Wir von der ARA konnten dabei gleichzeitig auch testen, ob die Abläufe in der Alarmierung funktionieren – was tadellos geklappt hat», bilanzierte er.

Für seine Mitarbeiter brachte der abendliche Einsatz vor allem die Einsicht, dass eine Rettung aus dem Kanal viel Zeit in Anspruch nimmt. «Jeder Kanalarbeiter hat immer ein Vier-Stoff-Messgerät und einen Selbstretter dabei, der ihn 20 Minuten lang mit Sauerstoff versorgen kann.

Zudem haben wir die Ausrüstung erneuert und klar geregelt, welche Bauwerke nur zu zweit oder zu dritt gewartet werden dürfen», sagt Egli. In seiner Zeit bei der ARA hat er zwar noch keinen schweren Unfall erlebt, aber: «Notsituationen können leicht entstehen, etwa wegen Gasen oder auch einfachem Stolpern. Für solche Fälle wollen wir gewappnet sein.»

AVA hat weniger Schulden

Bei den allgemeinen Verwaltungs- und Versicherungskosten sowie in einzelnen Betriebsteilen wurde eine beachtliche Kostenreduktion erreicht. Aufgrund der höheren Zahl an natürlichen Personen betrugen die Gebühren total 8,56 Mio. Franken. Weil die Verschuldung um rund 3 Mio. Franken reduziert und attraktive Umschuldungen vorgenommen werden konnten, sind die Kapitalkosten wiederum erheblich gesunken. Die Verschuldung am Jahresende betrug noch 12,2 Mio. Franken.

Energieverbrauch tiefer
Mit 8,14 Mio. Kubikmetern lag die Gesamtmenge des der ARA zufliessenden Abwassers im Vergleich zum Vorjahr etwas tiefer, dessen Verschmutzungsgrad war jedoch deutlich höher. Die verbindlichen Reinigungseffekte wurden grösstenteils erneut deutlich übertroffen. Die Produktion von Biogas wurde um 10%, die von Strom um ca. 25% erhöht. Gesamthaft konnte der Energieverbrauch um über 10% gesenkt werden, der Energieversorgungsgrad liegt bei über 50%. Der AVA profitierte erstmals von der Rückerstattung der kostendeckenden Einspeisevergütung für den in den BHKW produzierten Strom aus erneuerbarer Energie.

Kanalnetz: Guter Zustand
Bei der Schlammentsorgung war das Jahr geprägt vom Umbau der Schlammtrocknungsanlage. Der unterbruchsfreie Betrieb war nur dank des unermüdlichen Einsatzes des Personals möglich. Der Zustand des AVA-Kanalnetzes wird regelmässig mittels Kanalaufnahmen erfasst. Der aktuelle Zustand ist gut, es sind nur wenige Instandsetzungsmassnahmen erforderlich.

Im Berichtsjahr wurde das Regenbecken Waldau, Rorschacherberg, saniert. Zudem wurden nach 35 Betriebsjahren im Strang Ost (St. Margrethen) die Schneckenpumpen bei drei Hebewerken in St. Margrethen ausgewechselt.

Pumpwerk mit Graffiti verschönert

«Wüst anzusehen und planlos versprayt» sei das alte Pumpwerk gewesen, meinte Christoph Egli, Geschäftsführer des Abwasserverbandes Altenrhein. Das knapp 40-jährige Bauwerk wurde dieses Jahr für rund eine halbe Million Franken saniert. Dabei kam die Idee eines Schulwettbewerbs auf, um das Gebäude professionell mit Graffiti neu zu gestalten.

Legale Kunst
Der Wettbewerb zum Thema «Umwelt und Abwasser» löste bei den Oberstufenklassen ein reges Interesse aus, und rund 20 Vorschläge wurden eingereicht. Darunter seien alle Qualitätsstufen zu finden gewesen, meinte Reto Friedauer, Gemeindepräsident von St. Margrethen. Die Gewinner durften die letzten beiden Samstage ihren Vorschlag realisieren. Nun prägen die Schriftzüge «Clean World», «Abwasser» und «Pump it up» kunstvoll ausgearbeitet die drei Seiten des Gebäudes. «Die Idee dahinter war es, den Schülern eine legale Plattform zu geben, Graffiti zu erstellen. Das Projekt wurde von ihnen selbst geplant und umgesetzt», erklärte Reto Friedauer die Motivation zu diesem Entschluss.

Erweiterung unmöglich
Das Abwasserpumpwerk wurde ebenso wie das Regenbecken saniert. Etwa zwei Drittel des Abwassers von St. Margrethen läuft durch das Pumpwerk. Durch die Lage des Werkes, das auf der einen Seite von der Autobahn und auf der andern von einem Fabrikgebäude begrenzt wird, konnte das Regenbecken nicht auf das notwendige Volumen vergrössert werden. «Deshalb wurden andere Massnahmen ergriffen. Zum einen haben wir die Weiterleitmenge des Pumpwerks von 200 l/s auf über 300 l/s erhöht.

Auch technisch besser
Eine zweite Massnahme ist die Umstellung des Regenbeckens von einer Quer- auf eine Längsdurchströmung. Dies führt zu einem erhöhten Absetzverhalten und einer Verbesserung der Grobreinigung bei Entlastungssituationen von verdünntem Schmutzwasser in den Alten Rhein», führt Christoph Egli aus. Er freut sich nicht nur über ein verbessertes, sondern auch über ein schöner anzusehendes Pumpwerk.

Lebensraum neben der Kläranlage

Die Stiftung «Natur und Wirtschaft» würdigt bereits zum drittenmal die Anstrengungen des Abwasserverbandes Altenrhein, in der Umgebung der Kläranlage einen Lebensraum für selten gewordene Tiere und Pflanzen zu schaffen.

Bereits im Jahr 2001 hat die Stiftung «Natur und Wirtschaft» erstmals ihr Qualitätslabel verliehen, das sie nun zum zweitenmal bestätigt und erneuert hat.

Dies, weil die Betreiber mit unermüdlichem Engagement immer neue Ideen zur Förderung und Erhaltung einheimischer Tier- und Pflanzenarten tatkräftig umsetzen würden. So sei aus einer «normalen» Kläranlage eine vielfältige Landschaft geworden, die sich gut in die umgebende Umgebung einpasse und den Mitarbeitenden einen grünen und schönen Arbeitsplatz anbiete.

Naturerlebnis Firmengelände
Gut 52 Prozent des ARA-Geländes können heute als naturnah bezeichnet werden. Über die Hälfte machen der Wald und die Hecken aus. Den Rest nimmt eine grosse, offene Kiesfläche ein, die lichtliebenden Tieren und Pflanzen einen Lebensraum anbietet. Solche Ruderalflächen sind besonders in der Nähe von kanalisierten Flüssen sehr wertvoll, denn sie ersetzen die ehemals grossflächigen regelmässig überschwemmten und daher vegetationslosen Uferzonen. Wer weiss, vielleicht brütet bald ein Flussregenpfeifer auf dem ARA-Areal?

Neue Projekte geplant
Der Abwasserverband Altenrhein ruht sich aber nicht auf den einmal erreichten Lorbeeren aus. Seit der letzten Rezertifizierung im Jahr 2004 wurde ein neues Biotop für Gelbbauchunken angelegt. Ebenso wurden Stein- und Totholz-Haufen eingerichtet, die Tiere gerne als Lebensräume und Verstecke annehmen. Um auch die Vegetation ökologischer zu gestalten, wurden standortfremde Baumarten durch einheimische Sträucher ersetzt. Weiter sollen die Betonmauern bei der Einfahrt durch Trockenmauern ersetzt werden.

Zudem werden dem Personal und deren Angehörigen naturkundliche Exkursionen angeboten. Die naturnahe Gestaltung des Areals wird auch von den Mitarbeitern sehr geschätzt.

Auszeichnung für Engagement
Die Stiftung «Natur und Wirtschaft» wird vom Bundesamt für Umwelt, dem Fachverband der Schweizerischen Kies- und Betonindustrie und dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie getragen. Bisher wurden über 330 Firmen mit mehr als 18 Millionen Quadratmetern naturnaher Fläche zertifiziert.